Von der Sonneninsel macht’s Tut – Oh! (Mein Senf dazu) (aktualisiert)

Irgendwo las ich neulich, ich glaube, es war beim Nordboten, dass es den guten Tutower Senf wieder gibt. Wobei diese Aussage so verkürzt ist, dass sie falsch ist. Aber der Reihe nach. Fangen wir mit einem Horrorbild an …
Tutower Senf und Pommernsenf á la Tutow… und steigen wir in einen Vergleichstest ein, der eigentlich keiner sein kann.
Legen wir strenge Maßstäbe an, kann es diesen Test eigentlich gar nicht geben. Den neuen als „Tutower ORIGINAL“ zu bezeichnen, ist aber doch etwas zu sportlich, um es nicht trotzdem zu wagen. Aber sie haben durchaus auch eine Gemeinsamkeit: Sie kommen beide nicht aus Tutow. Während der neue im Glas von Deutschlands Sonneninsel Usedeom den Weg in des Herdnerds Küche fand, ist der andere vermutlich nicht mal aus Stavenhagen (wohin die Herstellung nach dem Aus des Originalabfüllortes gewandert ist). Die letzten erhältlich gewesenen Chargen – soweit die Gerüchte – sollen wohl anderswo produziert worden sein.
Bleiben wir noch kurz bei den strengen Maßstäben und der Unvergleichbarkeit. Setzt man die MHDs ins Verhältnis und vermutet einen ähnlichen Abstand zwischen der Herstellung und Abfüllung, dann trennt die beiden ein Alter von ca. 9 Monaten. Dies spielt insofern eine Rolle, als dass Senf – lasst es mich positiv ausdrücken – weiter reift, was dazu führt, dass er mit der Zeit milder wird und nicht mehr so stark „beißt“. Als (ganz) alter Tutower-Fan hat man immer mal wieder festgestellt, dass der frisch gekaufte Senf unterschiedlich scharf war. Da kann man vor allem zu früheren Zeiten durchaus der Meinung sein, dass da die Becher manchmal etwas zu früh in den Handel kamen, weil frühere Chargen schon ausverkuft waren. Die Folge ist, dass der Schärfegrad in der Bewertung nicht als Hauptkriterium eingehen kann.
Nun aber die Deckel auf und die Löffel raus.
Tutower Senf und Pommernsenf á la TutowJaaa, ich weiß. Der Senf im orangen Becher ist schon ein paar Tage offen. Das wirkt sich auch auf den Geschmack aus. Ich werde auch das berücksichtigen.
Der erste Blick zeigt den großen Unterschied zwischen den beiden: Der neue Senf kommt gröber daher. Das wirkt sich später auch auf das Mundgefühl aus. Die feine Konsistenz des Klassikers ist schon etwas anderes. Die Zukunft wird zeigen, wie gut die körnige Variante am Würstchen hängen bleibt. Beim weich gekochten Frühstücksei dürfte sich die spürbare Senfsaat auf der Zunge aber durchaus bemerkbar machen.
Der Blick auf die Zutatenlisten zeigt große Ähnlichkeiten. „Senfkörner“ vs. „Senfsaat“ und „Wasser“ vs. „Trinkwasser“ sind vermutlich nur Unterschiede in der Bezeichnung der gleichen Zutaten. Wobei schon allein die unterschiedliche Herkunft des verwendeten Wassers geschmackliche Unterschiede begründen kann. Ehemalige „Nordbräu“-Trinker, die das Bier sowohl aus Neubrandenburger wie auch aus Lübser Zeiten kennen, wissen, was ich meine. Aus eigener Erfahrung (ich trinke ja kein Bier) könnte ich nur aus meiner Cola-Zeit die alte Erkenntnis hervorkramen, dass mir Anfang der 1990er Jahre die Stralsunder Abfüllung der rot-weißen Markencola nicht so gemundet hat wie die Berliner Abfüllung.
Und einen großen Unterschied gibt es noch: Im Pommernsenf ist Meerrettich drin. Das ist meiner Erinnerung nach eine Eigenheit, die der Klassiker nie hatte. Nicht umsonst stand auf den Etiketten der Plastebecher unter dem großen „Meerrettich“ immer noch das Wort „Geschmack“, zu früherer Zeit wurde es sogar als Eigenheit der verwendeten Senfsaat verklärt. Da ich schon mal einen Senf mit zugegebenem Meerrettich eines anderen Herstellers probierte und den schrecklich fand, war ich skeptisch bzgl. der Usedomer Abfüllung.
Jetzt aber die Löffel in den Mund und kosten. Der frische Pommernsenf mit dem echten Meerrettich drin hat ordentlich Wumms, mein Nase war danach wieder frei. Da war der Tutower Senf (mittlerweile) etwas milder. Die Erinnerung ergab aber, dass die Schärfe bei frischem Tutower durchaus erwartbar war. Das Gefühl auf der Zunge war natürlich unterschiedlich. Der Klassiker ist etwas cremiger, der neue ein Hauch flüssiger mit spürbarer Senfkörnereinlage. Der Geschmack ist unter Berücksichtigung der unterschiedlich reifen Schärfe durchaus vergleichbar, wobei dem neuen etwas Abrundung im Geschmack fehlte, aber da bin ich optimistisch, dass das im Laufe der Lagerung noch etwas besser wird. Aber die Aromatik erinnert doch deutlich an das Original.
Fazit: Der Pommernsenf ist der würdige, aber edle Nachfolger für den Tutower Senf, der sicher auch ein wenig unter seinem Discounterimage litt. Als 10-l-Senfeimer für Imbissbuden wird es den neuen vermutlich nie geben, zumindest nicht zur freien Kundenverfügung; die schätzungsweise über 150 € Investition durch den Imbissbudenbetreiber will gut überlegt sein. 😉 Immerhin ist der neue Senf ca. zehnmal so teuer wie der alte. Dafür kommt er im Glas daher und hat richtigen Meerrettich als Ingredienz. Verschwenderisch damit umgehen ist also nicht. Dazu kann man dann auch mal ein gutes Würstchen vom Fleischer kaufen oder die guten Bioeier. Die Kombination damit werde ich sicher in der nächsten Zeit ausgiebig nutzen. Ein Update dieses Artikels ist also abzusehen.
Aktualisierung: Kombi mit dem Frühstücksei
Wenn er etwas milder wäre, kombinierte er sich besser mit dem wachsweich gekochten Ei. Die im Vergleich mit dem Klassiker körnigere Konsistenz bleibt natürlich spürbar, stört aber nicht. Es ist einfach nur etwas anders. Um es philosophisch zu betrachten: Es ist wie im echten Leben, alles entwickelt sich immer weiter. Das ist ein Grundgesetz. Ob die Veränderung positiv oder negativ zu bewerten ist, weiß man immer erst hinterher, aber man kann ihnen immer die Chance geben, sie gut zu finden.
Um der Hoffnung Ausdruck zu geben: Vielleicht ist er beim nächsten oder übernächsten „Sonntagsfrühstück“, dass bei mir immer sonnabends stattfindet, schon etwas milder und nicht mehr so bissig. Immerhin ist die Schärfe aber in diesem Zusammenhang gut dafür, dass sich der Senf länger hält. 😉 Man nimmt einfach weniger.

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